Die Mobilitätswende braucht mehr als E-Autos. Sie kann nur gelingen, wenn sich der gesamte Sektor bewegt – also auch der Flug-, Schienen-, Schwerlast- und Schiffsverkehr CO2-neutral unterwegs sind. Und die Mobilitätswende darf nicht isoliert, sondern muss als Teil der gesamten Energiewende betrachtet werden. Hier rücken Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe in den Fokus. Wärtsilä forscht intensiv an Kraftstoffen der Zukunft und unterzieht vielversprechende Alternativen – in den Bereichen Schifffahrt und Energie – großangelegten Tests. Über die Kraftstoffe der Zukunft, Technologieoffenheit und -flexibilität und eine holistische Vision auf dem Weg in eine CO2-neutrale Zukunft.
Wird das E-Auto die Welt retten? Zumindest spielt das elektrische Automobil in Politik und Medien aktuell die Hauptrolle, wenn von der Dekarbonisierung des Mobilitätssektors die Rede ist. Doch sicher ist eines: Die Mobilitätswende braucht mehr als elektrifizierte Autos – weit mehr. Denn auch Lastverkehr, Schifffahrt, Luftfahrt und Schiene belasten mit ihren Emissionen das Klima. Der Schwerlastverkehr etwa ist heutzutage für knapp ein Viertel der verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich. Betrachtet man den Mobilitätssektor als Ganzes, kommt der E-Antrieb bei Leistung und Reichweite rasch an seine Grenzen. Zusätzliche Lösungen müssen her.
GRÜNES TRAUMPAAR: WASSERSTOFF UND ERNEUERBARE ENERGIE
Um die Bedeutung von Wasserstoff weiß auch die deutsche Politik, die jüngst die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet hat. Sie soll den Rahmen für Erzeugung, Transport, Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff setzen sowie Innovationen und Investitionen fördern. Das volle Potenzial für den Klimaschutz entfalten Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe allerdings nur dann, wenn für die Herstellung grüner Strom genutzt wird. Dann kann Wasserstoff nachhaltig produziert, weiterverarbeitet und verwendet werden. „Wir nutzen dafür überschüssigen Strom aus Solar- und Windenergie“, erklärt Ville Rimali, Director Growth & Development, Wärtsilä. „Wasser wird mittels Elektrolyse-Verfahren in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten.“ Hier kommt Power-to-X ins Spiel – der Sammelbegriff für Verfahren, die Strom in einen Energieträger verwandeln und im Stande sind, in Zeiten eines Überangebots an erneuerbarer Energie Stromüberschüsse zu speichern und sie etwa zur Mobilität in strombasierte Kraftstoffe umzuwandeln – Power-to-Fuel. „Diese Technologie ist eine der Schlüsselkomponenten für eine erfolgreiche Dekarbonisierung“, sagt auch Mikael Wideskog, Director, Sustainable Fuels & Decarbonisation, Wärtsilä. Was gerade Wasserstoff und erneuerbare Energie zum Traumpaar der Energiewende macht, ist die Tatsache, dass Wasserstoff extrem vielfältig nutzbar ist. Schließlich kann er direkt als grüner Kraftstoff verwendet, mit Erdgas gemischt oder zu synthetischem Methan, Methanol, Diesel oder Ammoniak verarbeitet werden. Alle diese Varianten haben ihre Vor- und Nachteile und lassen sich für jeweils andere Anwendungsbereiche empfehlen. Auch wenn Wasserstoff nicht die alleinige Lösung der Energiewende ist, spielt er doch bei der Entwicklung zukünftiger Kraftstoffe eine wichtige Rolle. Davon ist Wärtsilä überzeugt.
MIT AMMONIAK UND METHANOL AUF HOHER SEE
Im Bereich der Schifffahrt forscht Wärtsilä intensiv an synthetischen Kraftstoffen auf Wasserstoffbasis wie Methanol und Ammoniak. So sticht die Fähre „Stena Germanica“ seit mehr als fünf Jahren mit Methanol in See – der Beweis, dass der Energieträger erfolgreich als Schiffskraftstoff eingesetzt werden kann. Dieser Erfolg hat Wärtsilä dazu inspiriert, diesen Kraftstoff weiter zu untersuchen.
Taugt das Modell als Blaupause für die gesamte Schifffahrt? Von der Suche nach Einheitslösungen rät Wideskog ab. „Denkbar ist vielmehr ein Antriebsmix. Im maritimen Bereich etwa könnten Schiffe, die wie Fähren nur kurze Strecken zurücklegen, elektrisch betrieben werden, da sie in jedem Hafen wieder Strom tanken können. Für mittlere Strecken bieten sich Hybride an, die in Hafennähe rein elektrisch und auf See mit Verbrennungsmotor und nachhaltigen Kraftstoffen operieren. Für Fernstrecken kämen dann reine Verbrenner mit flüssigen grünen Kraftstoffen in Frage.“ Welche dieser „Future Fuels“ sich in der Schifffahrt sowie im Verkehrssektor insgesamt durchsetzen, sei noch unmöglich vorauszusagen, so Wideskog. Sicher sei nur: Wasserstoff werde ein wichtiger Grundbaustein sein. Wärtsilä arbeitet zwar auch an reinen Wasserstoffmotoren, doch Wasserstoff ist komplex in der Handhabung, muss verflüssigt und bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden. Ammoniak kann dagegen einfacher in Gasflaschen und bei Umgebungstemperatur aufbewahrt werden, dafür stellt seine Toxizität eine Herausforderung dar. Wärtsilä fährt aktuell auch erste Verbrennungsversuche mit Ammoniak, um dessen Eigenschaften besser zu verstehen. Danach sollen Tests an Dual-Fuel- sowie an funkengezündeten Gasmotoren folgen. Ab 2022 sind Feldtests in Zusammenarbeit mit Schiffseignern und in Zukunft möglicherweise auch mit Energiekunden geplant. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, sagt Wideskog, denn: „Die globale Schifffahrt allein verursacht drei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen“. Die Branche muss also reagieren. Ihre Transformation wird auch durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) getrieben, die sich im April 2018 verpflichtet hat, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent und die gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen auf Flottenebene bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren.
KRAFTSTOFFFLEXIBILITÄT ALS ERFOLGSFAKTOR
Um die Branche fit für eine dekarbonisierte Zukunft zu machen, setzt Wärtsilä auf das Konzept der Fuel Flexibility. „Wir sind Brennstoff-Agnostiker: Wir sagen nicht voraus, welcher Brennstoff verfügbar sein wird, wir sind für alle Technologien offen und gestalten unsere Motoren auch dementsprechend so, dass sie mit unterschiedlichen Treibstoffen betrieben werden können“, so Wideskog. Schließlich sind gerade Schiffsmotoren auf extrem lange Laufzeiten ausgelegt und niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, welche Future Fuels sich wann durchsetzen werden – umso wichtiger ist Kraftstoffflexibilität. „Das liegt in unserer DNA, wir entwickeln seit den 1980er Jahren duale Verbrennungsmotoren.“ Schon heute können beispielsweise die Gasmotoren von Wärtsilä mit einem Gemisch aus Erdgas und bis zu 25 Prozent Wasserstoff betrieben werden.
ÄNDERUNG DES GESAMTEN ENERGIESYSTEMS
Wenn nun in naher Zukunft Wasserstoff, Ammoniak und weitere auf Wasserstoff basierende und aus überschüssiger Energie gewonnene Treibstoffe in Benutzung sein werden – was bedeutet das für unser Energie- und Verkehrssystem? „Die ganze Energie-Infrastruktur muss sich ändern. Durch innovative Technologien wie Power-to-X, aber auch den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kann die Energie-versorgung flexibler und dezentralisierter werden“, erklärt Jukka Lehtonen, Vice President, Technology and Product Management, Wärtsilä. Entscheidend dabei: Dank Forschung und Entwicklung den jeweils passenden synthetischen Treibstoff zur richtigen Zeit und für die jeweilige Branche zu finden – im Mix der Möglichkeiten und dem integrierten Denken liegt das große Potenzial. Als Pionier in den Bereichen Forschung und Entwicklung erforscht Wärtsilä im eigenen Kraftstofflabor eine breite Palette von Kraftstoffen. Bis der Übergang von fossilen Treibstoffen zu ihren grünen Alternativen abgeschlossen sein wird, braucht es jedoch Zeit und entschlossenes Handeln, auch und gerade von der Politik. „Je mehr sich die ganze Gesellschaft eines Landes auf diese Aufgabe, diesen möglichst geordneten Übergang, konzentriert, umso besser und schneller funktioniert er“, betont Lehtonen.
PIONIERE SIND GEFRAGT
Noch bremst ein wichtiger Punkt diese Entwicklungen: Synthetische Kraftstoffe sind derzeit noch drei bis fünf Mal teurer als ihre fossilen Alternativen. „Die ökonomische Machbarkeit ist entscheidend – deswegen braucht der Übergang zu nachhaltigen Treibstoffen Anreize“, ergänzt Wideskog. Neben regulativen Vorgaben und gesellschaftlichem Druck müsse man auch an anderen Stellschrauben drehen. So werde es bei höheren Treibstoffpreisen wichtiger, möglichst wenig des kostbaren Guts zu verbrauchen, ergo: die Effizienz von Motoren bis hin zur Routenplanung zu steigern.
Mindestens ebenso wichtig aber sind laut Wideskog Unternehmen, die sich an die Spitze der Entwicklung stellen. „Wir brauchen Pioniere, die vorangehen, die Vorbild sind für andere. Dieser Mut wird sich für sie auszahlen, denn ich bin überzeugt: In Zukunft werden gerade die Unternehmen erfolgreich sein, die smart und nachhaltig agieren.“
Link zum Flyer "Die Revolution im Tank: Synthetische Kraftstoffe für die Mobilitäts- und Energiewende